Eine eher ungewöhnliche und unbekannte Art von Gerichtsverfahren ist das aktienrechtliche Statusfeststellungsverfahren nach den §§
98 und
99 AktG. Der Absatz eins des § 98 lautet:
Ist streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, so entscheidet darüber auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat.
Antragsberechtigt in diesem Verfahren sind Vorstand, Aufsichtsrat, Aufsichtsratsmitglieder, gewisse Betriebsräte, Sprecherausschüsse und Gewerkschaften, 100 betroffene Arbeitnehme - aber auch jeder Aktionär. Kurzzeitig in die Schlagzeilen kam das Verfahren daher, als der Aktionär und
"disruptive Antragsteller" (LTO) Konrad Erzberger - übrigens mit juristischem Doktorgrad - als Aktionär der TUI AG durchsetzen wollte, dass dort ein nur aus Vertretern der Aktionäre zusammengesetzter Aufsichtsrat gebildet wird. Seine Begründung: Das deutsche Mitbestimmungsrecht, nach dem auch Arbeitnehmervertreter den Aufsichtsräten größerer Unternehmen anzugehören haben, verstoße gegen das Europarecht. Da nur im Inland beschäftigte Arbeitnehmer das Wahlreicht zum Aufsichtsrat haben, könne das diese vom Wechsel in eine ausländische Niederlassung oder Tochtergesellschaft abhalten, weil sie dann ihr Wahlrecht verlören - zumal, wenn er tatsächlich gerade Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sei. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art.
45 AEUV. Nachdem sich der EuGH am 18.07.2017 (
C-566/15) dieser Ansicht nicht anschloss, wurde es in der Öffentlichkeit bald wieder ruhiger um das Statusfeststellungsverfahren und auch um Dr. Konrad Erzberger.
Vor der Entscheidung wurde aber auch viel über die Motive des Antragstellers spekuliert. Gehörte er zu den Feinden der Arbeitnehmerrechte, die die Mitbestimmung am liebsten ganz abschaffen wollen und versuchte dazu das Europarecht einzuspannen? Ging es ihm eher darum, eine europaweite Mitbestimmungsregelung zu erreichen, bei der eben alle Arbeitnehmer EU-weit gleich behandelt werden? Oder wollte er
"auch einfach bloß Rechtsgeschichte schreiben", wie das "Magazin Mitbestimmung" der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung einmal oraktelte?
Aber um Erzberger und das Statusfeststellungsverfahren ist es in den Medien ruhig geworden. Mit einer Ausnahme, einem Medium, das selten jemand liest, nach dessen Inhalt man überwiegend nicht googeln und den man nicht verlinken kann. Obwohl es sich durchaus heute um ein reines Online-Medium handelt: dem Bundesanzeiger. Schaut man sich dort nämlich im Bereich "Gesellschaftsbekanntmachungen" näher um, stellt man fest, dass Erzberger seit der EuGH-Entscheidung zu seinen Ungunsten keineswegs untätig geblieben ist. Im Gegenteil: An die fünfzig Statusfeststellungsverfahren hat er inzwischen eingeleitet, und einen großen Teil davon nach dem EuGH-Beschluss.
Eines aber ist anders: der Inhalt seiner Anträge. Nun beatragt er nämlich regelmäßig die Feststellung, dass ein mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden sei. Meist begründet er das nun damit, dass es zwar nach der EuGH-Entscheidung nicht nötig sei, dass ausländische Arbeitnehmer auch mitwählen und gewählt werden dürfen. Aber warum sollten sie nicht bei der Zahl der Arbeitnehmer mitzählen, ab der ein Unternehmen oder Konzern Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben muss? Landauf, landab geht er nun also Konzerne an, die zwar mit ihren Mitarbeitern im Inland unter den Schwellenwerten liegen, aber darüber lägen, zählte man auch die Arbeitnehmer im Ausland mit. Ein Wandel vom Saulus zum Paulus in Sachen Arbeitnehmerrechte also? Will er wirklich einfach nur Rechtsgeschichte schreiben? Oder ist er doch ein Feind der Arbeitnehmerrechte, der plant, nun auch die bisher ohnehin nicht mitbestimmten Unternehmen in den Kampf dagegen zu ziehen? Es darf also weiterspekuliert werden. Sehr erfolgreich ist Erzberger mit seinem neuen Ansatz übrigens bisher nicht, soweit es schon Entscheidungen gibt, gehen sie fast alle gegen ihn aus. Und in den wenigen Fällen, in denen er erfolgreich war, scheint das andere Gründe gehabt zu haben.
Abschließend eine Liste aller Unternehmen, bei denen ich bisher Statusfeststellungsanträge des Dr. Konrad Erzberger gefunden habe. Das Auffinden der Mitteilungen im Bundesanzeiger bleibt dem Leser fürs erste als Übungsaufgabe überlassen.
- adidas AG
- Adler Real Estate AG
- ALBIS Leasing AG
- AURELIUS Equity Opportunities SE ß Co. KGaA
- Axel Springer SE
- BayWa AG
- Beiersdorf AG
- Bijou Brigitte modische Accessoires AG
- Biotest AG
- Brenntag AG
- Cancom SE
- CTS Eventim AG ß Co. KGaA
- Delivery Hero AG, nun Delivery Hero SE
- Deutsche Beteiligungs AG
- Deutsche Wohnen SE
- Drägerwerk AG ß Co. KGaA
- Evotec AG
- Fresenius Medical Care AG ß Co. KGaA
- Fuchs Petrolub SE
- GFT Technologies SE
- Grammer AG
- HeidelbergCement AG
- Heidelberger Druckmaschinen AG
- Hella KGaA Hueck & Co.
- HelloFresh SE
- Henkel AG & Co. KGaA
- Hornbach Baumarkt AG
- Hornbach Holding AG & Co. KGaA
- Hugo Boss AG
- Infineon Technologies AG
- Jost Werke AG
- KWS Saat SE
- LEONI AG
- Linde AG
- Merck KGaA
- MK Kliniken AG
- Mühlbauer Holding AG
- mutares AG
- Nordex SE
- OHB SE
- Pfeiffer Vacuum Technology AG
- ProSiebenSat. 1 Media SE
- Sixt SE
- Software AG
- STADA Arzneimittel AG
- Takkt AG
- TUI AG
- VARTA AG
- Vossloh AG
- WCM Beteiligungs- und Grundbesitz AG
- Wirecard AG