Aus dem BundesAnzeiger geplaudert
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Diese Entscheidung

19.11.2019

IVG EuroSelect Vierzehn GmbH & Co. KG: Erweiterung des Kapitalanleger-Musterverfahrens abgelehnt

Kammergericht

Beschluss

Geschäftsnummer:

4 Kap 1/16

4 OH 2/15 KapMuG Landgericht Berlin

In dem Musterverfahren

Name entfernt ./. DB Privat- und Firmenkundenbank AG u.a.

hat der 4. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Eißholzstraße 30-33, 10781 Berlin, am. 17. September 2019 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Sprockhoff, die Richterin am Kammergericht Rosseck und die Richterin am Kammergericht Jorcke-Kaßner beschlossen:

Die Anträge der Musterklägerin aus den Schriftsätzen vom 22. August 2019 und 15. September 2019, das Musterverfahren auf die dortigen geänderten und ergänzten Feststellungsziele zu erweitern, werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Gegenstand des vorliegenden Musterverfahrens sind die Musterverfahrensanträge der Musterklägerin mit den Feststellungszielen, die das Landgericht Berlin in seinen Vorlagebeschluss vom 29. März 2016 aufgenommen hat. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Anträge der Musterklägerin vom 22. August 2019 und vom 15. September 2019, mit denen diese begehrt, das Musterverfahren auf die nachfolgend wiedergegebenen Feststellungsziele erweitern, wobei diese hinsichtlich der zu Ziffer I. a) bis m) formulierten Anträge an die Stelle der Feststellungsziele nach Maßgabe des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Berlin vom 29. März 2016 - 4 OH 2/15 KapMuG - treten und diese im Übrigen ergänzen sollen:

I. Es wird festgestellt, dass der Verkaufsprospekt über die Beteiligung an der IVG Euro- Select Vierzehn GmbH & Co. KG in der Fassung vom 20.07.2007 (nachfolgend „Verkaufsprospekt“) unrichtig, irreführend und unvollständig ist und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

a)

da der Verkaufsprospekt die Einlage und das Eigenkapital des Joint-Venture-Partners, dessen finanzielle Verhältnisse, Kredite des Joint-Venture-Partners, dessen genaue Identität und die Verflechtungen mit der IVG Gruppe und der finanzierenden Bank unrichtig, irreführend und unvollständig in den folgenden Passagen darstellt: [...]

b)

da der Verkaufsprospekt den dargestellten angeblichen Kaufpreis von 600 Mio. GBP für den mittelbaren Erwerb der Immobilie „The Gherkin“ unrichtig, irreführend und unvollständig in den folgenden Passagen auf Seite 9 und Seite 88 des Prospektes darstellt: [...]

c)

da der Verkaufsprospekt die Reihenfolge und die Höhe bei der Verteilung des Kaufpreises im Falle einer Immobilienveräußerung in Bezug auf die an Kreditgeber bevorrechtigt zu leistenden Zahlungen unrichtig, irreführend und unvollständig in der folgenden Passage auf Seite 146 darstellt: [...]

d)

da der Verkaufsprospekt die Risiken und Besonderheiten der Swapgeschäfte des Fonds unrichtig, irreführend und verharmlosend auf den folgenden Passagen darstellt und eine gesonderte ordnungsgemäße Information über die Risiken der in diesem Fonds getätigten Swapgeschäfte fehlt: [...]

e)

da der Verkaufsprospekt den Umstand, dass es sich bei der Anlage um ein leasingähnliches Fondsmodell handelt, der Verkäufer und Hauptmieter konzernidentisch ist, und keine Hinweise auch auf Seite 27, 32 oder 33 des Prospektes auf das spezielle Mietrisiko enthält, dass bei einem leasingähnlichen Modell die Gefahr besteht, dass die Hauptmieterin überhöhte Mieten zahlt, um einen höheren Preis zu bekommen, unrichtig, irreführend und unvollständig darstellt.

f)

da der Verkaufsprospekt die Volatilität des Immobilienwertes der Immobilie „The Gherkin“, den niedrigeren Gestehungspreis der Immobilie und den tatsächlichen Verkehrswert in 2007 auf der folgenden Passage auf Seite 9 und Seite 34 unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt: [...]

g)

da der Verkaufsprospekt unvertretbare Renditen prognostiziert und die wirtschaftlichen Grundlagen der Prognose - Miethöhen, Mietsteigerungen, Sonderkündigung trotz stark steigenden Mietmarkt, Auswirkungen der Upwards-Only-Klauseln und die Entwicklung der Kreditkosten - insbesondere auch im Hinblick auf den Joint-Venture-Partner - widersprüchlich, unrichtig, irreführend und verharmlosend in der Tabelle auf Seite 104 und 105 und den folgenden Passagen darstellt: [...]

h)

da der Verkaufsprospekt die durch geplante Neubauvorhaben von Bürohochhäusern in demselben Marktsegment entstehende zusätzliche Konkurrenzsituation unrichtig, irreführend und verharmlosend in der folgenden Textpassage auf Seite 55 darstellt: [...]

i)

da der Verkaufsprospekt die negativen Auswirkungen der Finanzkrise auf die Vermietung und den Wert von Londoner Büroimmobilien unrichtig, irreführend und verharmlosend in den folgenden Textpassagen darstellt: [...]

j)

[da] der Verkaufsprospekt eine angebliche Währungsabsicherung der CHF-Darlehen suggeriert und damit die Risiken derartiger Darlehen unrichtig, irreführend und verharmlosend auf den folgenden Prospektpassagen darstellt: [...]

k)

da der Verkaufsprospekt nicht darüber informiert, dass im englischen Recht grundbuchrechtlich besicherte Immobilien von der Kreditbank freihändig ohne Zwangsversteigerungsverfahren nach Fälligstellung des Kredites verkauft werden können und damit die Risiken eines freihändigen Verkaufs unrichtig, irreführend und verharmlosend in der folgenden Passage auf Seite 152 darstellt: [...]

l)

[da] der Verkaufsprospekt die sog. DSCR (Debit Service Cover Ratio - Verhältnis zwischen Kreditkosten und Miete) fehlerhaft und widersprüchlich in den folgenden Passagen darstellt: [...]

m)

da der Verkaufsprospekt die gesellschaftlichen Verflechtungen zwischen der Treuhänderin Wert-Konzept und dem Emissionshaus, der IVG Immobilien AG, nicht darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt.

n)

da der Verkaufsprospekt die Reihenfolge der Verteilung des Kaufpreises im Falle einer Immobilienveräußerung und die bevorrechtigte Berücksichtigung der Verbindlichkeiten des Darlehens der Centurio Lux an den Joint-Venture-[Partner] in der Erlösverteilung mit einer angeblich maximalen Höhe von nur bis zu 30 Mio. GBP falsch, irreführend und unvollständig in der folgenden Passage auf Seite 146 darstellt: [...]

o)

Es wird festgestellt, dass der Verkaufsprospekt über die Beteiligung an der IVG EuroSelect Vierzehn GmbH & Co. KG in der Fassung vom 20.07.2007 (nachfolgend „Verkaufsprospekt“) unvollständig ist, da er verschweigt, dass die Kreditgeberin des Joint-Venture-Partners „The Skyline Unit Trust“, die Centurio Lux eine mittelbare Tochter der Bayern LB ist.

Es wird festgestellt, dass insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt.

Hilfsweise für den Fall, dass keines der vorstehend wiedergegebenen Feststellungsziele von dem Gericht bejaht wird:

Es wird festgestellt, dass der Verkaufsprospekt über die Beteiligung an der IVG EuroSelect Vierzehn GmbH & Co. KG in der Fassung vom 20.07.2007 (nachfolgend „Verkaufsprospekt“) unrichtig, irreführend und unvollständig ist, da er bei einer Gesamtbetrachtung kein zutreffendes Bild von der Anlage und deren Risiken darstellt. Der Aufbau des Prospekts ist derart kompliziert, die Informationen - vermischt mit vielen Werbeaussagen und Verharmlosungen - derart verteilt, dass der Prospekt nicht geeignet ist, einem Anleger die erforderlichen Informationen in einer zumutbaren Weise zu präsentieren.

Wegen der im Anschluss an die einzelnen Feststellungsziele wiedergegebenen Prospektpassagen wird auf den Schriftsatz der Musterklägerin vom 22. August 2019 (Band IX, Blatt 86 bis 82 der Akten) Bezug genommen.

II.

Den Anträgen auf Erweiterung/Korrektur der Musterverfahrensanträge ist mangels Sachdienlichkeit nicht zu entsprechen. Soweit die Musterklägerin Feststellungsziele, die im Vergleich zu den vom Vorlagebeschluss des Landgerichts umfassten Feststellungszielen einen eigenständigen Streitgegenstand abbilden, zum Gegenstand des Musterverfahrens machen will, ist ferner nicht dargetan, dass. die Entscheidung im Musterverfahren für die Entscheidung in dem ausgesetzten Rechtsstreit der Musterklägerin vorgreiflich sein kann und ihr für eine Vielzahl anderer gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten Bedeutung zukommt.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 KapMuG erweitert das Oberlandesgericht nach Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG auf Antrag eines Beteiligten das Musterverfahren durch Beschluss um weitere Feststellungsziele, soweit (1.) die Entscheidung des zugrundeliegenden Rechtsstreits von den weiteren Feststellungszielen abhängt, (2.) die Feststellungsziele den gleichen Lebenssachverhalt betreffen, der dem Vorlagebeschluss zugrunde liegt, und (3.) das Oberlandesgericht die Erweiterung für sachdienlich erachtet.

a) Diese Vorschrift kann mit Rücksicht darauf, dass die einmal zum Gegenstand des Vorlagebeschlusses gemachten Musterverfahrensanträge grundsätzlich nicht mehr zur Disposition der Parteien des Musterverfahrens stehen und daher weder geändert oder ganz oder teilweise zurückgenommen werden können (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 11 Rn. 99) auch auf Antragskorrekturen angewandt werden (vgl. hierzu OLG Hamburg, Musterbescheid vom 21. Dezember 2018 - 13 Kap 3/15, sub II 1.), sofern das neu formulierte Feststellungsziel nicht schon bei sachgerechter Auslegung des Begehrens des Musterklägers als von den im Vorlagebeschluss umfassten Feststellungszielen erfasst angesehen werden kann.

Nach § 15 KapMuG, der eine Sonderregelung zu den §§ 263, 264 ZPO enthält, kann der Gegenstand des Musterverfahrens auf weitere Feststellungsziele erstreckt werden, die noch nicht (in zulässiger Weise) zum Gegenstand des Musterverfahrens gemacht worden sind. Die Vorschrift dient auch im Blick auf die Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses gemäß § 7 KapMuG für weitere Musterverfahren der Förderung der umfassenden Erledigung der durch den dem Musterverfahren zugrundeliegenden Lebenssachverhalt aufgeworfenen und für die von Prozessgerichten ausgesetzten Rechtsstreite vorgreiflichen Rechtsfragen. Danach sollen alle auf dem gleichen Lebenssachverhalt beruhenden klärungsbedürftigen Fragen, denen eine Breitenwirkung zukommt, grundsätzlich in einem Musterverfahren beantwortet werden (Heidel in Gängel/Huth/Gansel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. § 15 KapMuG Rn. 3; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 15 Rn. 5 f.).

Aus Gründen des fairen Verfahrens und der Verfahrensökonomie ist eine Erweiterung/Zulassung geänderter Musterverfahrensanträge ferner grundsätzlich dann geboten, wenn die Anträge einem gerichtlich erteilten Hinweis (§ 139 Abs. 1 ZPO) Rechnung tragen, insbesondere, wenn dieser die Frage der Zulässigkeit der bisher formulierten Feststellungsziele unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in Verbindung mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) betrifft (vgl. OLG Hamburg a.a.O.).

b) Eine Erweiterung des Musterverfahrens findet jedoch mangels Sachdienlichkeit nicht statt, wenn sie tatsächlich nicht erforderlich ist, um eine Klärung des gesamten Streitstoffes herbeizuführen. Nichts anderes gilt, wenn die (zusätzlich) formulierten Feststellungsziele offensichtlich unzulässig, unbegründet oder nicht (mehr) entscheidungserheblich sind oder wenn sie (ohne dass dies auf nachvollziehbaren Gründen beruhte) zu einem Zeitpunkt gestellt werden, der zu einer (vermeidbaren) Verzögerung des Verfahrens führt, da es in diesem Falle jedenfalls an der nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG erforderlichen Sachdienlichkeit der neuen Anträge fehlt (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 15. Dezember 2014 - Kap 3/10, NZG 2015, 399 Rn. 9 ff.; Heidel in Gängel/Huth/Gansel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. § 15 KapMuG Rn. 11 f.; vgl. ferner Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 15 Rn. 17 unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4, dessen Wertungen hier entsprechend herangezogen werden können).

c) Eine Erweiterung des Musterverfahrens um weitere Feststellungsziele kommt ferner nur in Betracht, wenn davon auszugehen ist, dass der Individualrechtsstreit des Antragstellers von dem zusätzlich zu klärenden Feststellungsziel abhängt (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 4. Aufl. § 15 Rn. 14). Da das Musterverfahren dazu dient, eine Klärung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen für eine Vielzahl anderer gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten herbeizuführen, muss schließlich davon ausgegangen werden können, dass die Entscheidung über ein weiteres Feststellungsziel für eine Vielzahl anderer gleichgelagerter Feststellungsziele von Bedeutung sein kann (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 4. Aufl. § 15 Rn. 18).

2. Nach diesen Maßstäben ist das Musterverfahren nicht auf die von der Musterklägerin mit Schriftsatz vom 22. August 2019 und vom 15. September 2019 formulierten Anträge/Feststellungsziele zu erstrecken.

• Konkretisierung/Erweiterung der Anträge zu I. a) bis m) und Antrag zu I. n)

a) Die von der Musterklägerin erstrebte Konkretisierung der mit dem Antrag zu I. a) bis m) zur Entscheidung gestellten Feststellungsziele ist nicht erforderlich, um Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit ihres Begehrens (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in Verbindung mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) auszuräumen.

Diesen ist - soweit es den vom Bundesgerichtshof beanstandeten „insbesondere“-Zusatz betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 65; Beschluss vom 9. Januar 2018 – II ZB 14/16, WM 2018, 556 Rn. 56; Beschluss vom 10. Juli 2018 – II ZB 24/14, WM 2018, 2225 Rn. 33 jeweils nach juris) - vielmehr dadurch Rechnung zu tragen, dass der Klarstellung der Musterklägerin, nach der dem Gericht mit diesem Zusatz nicht der gesamte Sachverhalt zur eigenständigen Prüfung etwa gegebener, aber nicht von den formulierten Feststellungszielen erfasster möglicher Prospektfehler unterbreitet werden soll, bereits durch eine entsprechende Auslegung der im Vorlagebeschluss des Landgerichts Berlin enthaltenen Feststellungsziele Rechnung zu tragen (§§ 133, 157 BGB). Ergänzend wird auf den der Musterklägerin erteilten Hinweis vom 29. Mai 2019 und die Ausführungen hierzu im Musterentscheid Bezug genommen.

Die Erstreckung des Musterverfahrens auf die von der Musterklägerin mit Schriftsatz vom 22. August 2019 korrigierten Anträge zu I. a) bis m) ist auch nicht deshalb geboten, weil die zuvor formulierten Feststellungsanträge in Ermangelung einer Wiedergabe der mit ihnen angesprochenen Prospektpassagen unzulässig wären. Vielmehr ist die Wiedergabe von Prospektpassagen grundsätzlich nicht erforderlich, um den zur Entscheidung gestellten Streitgegenstand hinreichend von anderen denkbaren Streitgegenständen abzugrenzen. Es genügt vielmehr, wenn sich dem zur Begründung der Feststellungsanträge Vorgetragenen entnehmen lässt, auf welche Angaben oder Auslassungen im Verkaufsprospekt sich das jeweilige Feststellungsziel bezieht. Gegenteiliges kann auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entnommen werden. Ergänzend wird auf die Ausführungen hierzu im Musterentscheid Bezug genommen.

b) Soweit die Musterklägerin die mit den Anträgen zu I. a) bis m) zur Entscheidung gestellten Feststellungsziele um einzelne Aspekte ergänzt wissen will, die bisher nicht (auch nicht bei sachgerechter Auslegung der Feststellungsziele) Gegenstand des Verfahrens gewesen sind, ist dies nicht geboten, um eine erschöpfende Behandlung des Streitstoffes im vorliegenden Verfahren zu ermöglichen (vgl. Heidel in Gängel/Huth/Gansel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. § 15 KapMuG Rn. 3; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 15 Rn. 5 f.). Auch eine nachträgliche Beschränkung des Streitstoffes findet im Musterverfahren grundsätzlich nicht statt. Im Einzelnen gilt Folgendes:

― Die Musterklägerin möchte das Feststellungsziel zu I. a) auf eine unrichtige, irreführende und unvollständige Darstellung der Verflechtungen zwischen dem Joint-Venture-Partner und der finanzierenden Bank erstrecken. Eine solche ist allerdings nicht dargetan, so dass diese Änderung (auch mit Blick auf die ausgesetzten Prozesse) nicht weiterführt.

― Das neugefasste Feststellungsziel zu I. b) enthält (von der Einfügung der Prospektpassagen abgesehen) lediglich redaktionelle Änderungen.

― Die Musterklägerin lässt mit dem neugefassten Feststellungsziel zu I. c) die Behauptung fallen, dass das von der IVG Immobilien AG an den Joint-Venture-Partner gewährte Darlehen über 52 Mio. GBP bevorrechtigt (über die Fondsimmobilie) besichert worden sei. Dies steht im Widerspruch dazu, dass ein vom Vorlagebeschluss des Landgerichts erfasstes Feststellungsziel im Musterverfahren weder ganz noch teilweise zurückgenommen werden kann (BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - XI ZB 17/15, BGHZ 216,37 Rn. 69 nach juris; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 11 Rn. 99). Soweit die Musterklägerin dieses Feststellungsziel nunmehr (ausdrücklich) auf die Höhe der Anteile an der Erlösverteilung erstreckt wissen will, führt auch dies nicht weiter, da (wie im Musterentscheid ausgeführt wird) nicht erkennbar ist, dass der Verkaufsprospekt insoweit unrichtig ist. Eine später geschehene, von den Prospektangaben abweichende Erlösverteilung wäre nicht geeignet, einen Mangel des Verkaufsprospekts zu begründen.

― Die Musterklägerin möchte das neugefasste Feststellungsziel zu I. d) ausdrücklich auf das Fehlen einer gesonderten Information über die Swap-Geschäfte erstrecken. Diese Beanstandung war bei nicht zu enger Auslegung schon von dem bisherigen Begehren umfasst, das sich auch auf eine unvollständige und verharmlosende Darstellung der Risiken bezieht, so dass die Neufassung der Anträge auch insoweit entbehrlich ist.

― Mit der Neuformulierung des Antrages zu I. e) ist mit Blick auf das bereits zuvor zu seiner Begründung Vorgetragene ebenfalls keine Erweiterung des Streitgegenstandes verbunden, so dass es einer Neufassung nicht bedarf.

― Das neugefasste Feststellungsziel zu I. f) enthält (von der Einfügung der Prospektpassagen abgesehen) keine Änderungen, denen nicht schon mit der entsprechenden Auslegung des bisher formulierten Antrages Rechnung getragen werden kann. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Neuformulierung des Feststellungsziels zu I. g).

― Das neugefasste Feststellungsziel zu I. h) enthält (von der Einfügung der Prospektpassagen abgesehen) lediglich redaktionelle Änderungen. Nichts anderes gilt für die neuformulierten Feststellungsziele zu I. i) bis j).

― Soweit die Musterklägerin mit dem Feststellungsziel zu I. k) nicht mehr auf die Risiken eines „Zwangsverkaufs“, sondern eines „freihändigen Verkaufs“ abstellen will, zielen beide Beanstandungen auf die Folgen der Bestellung und Verwertung von Sicherheiten an der Fondsimmobilie und ist mit der Neuformulierung keine qualitative Änderung verbunden, die weitergehende Feststellungen als das bisher zur Entscheidung gestellte Feststellungsziel rechtfertigen könnte.

― Das neugefasste Feststellungsziel zu I. i) enthält (von der Einfügung der Prospektpassagen abgesehen) lediglich redaktionelle Änderungen. Auch mit dem neuformulierten Feststellungsziel zu I. m) soll kein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt werden.

― Auch das mit Schriftsatz vom 22. August 2019 eingeführte Feststellungsziel I. n), das nicht schon von dem Feststellungsziel zu 1. c) in der im Vorlagebeschluss des Landgerichts wiedergegebenen Fassung erfasst und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. September 2019 als Hauptantrag zum Gegenstand des Erweiterungsantrages gemacht worden ist, führt nicht weiter, da diesem Feststellungsziel aus den im Musterentscheid (dort nicht tragend) genannten Gründen offensichtlich kein Erfolg beschieden wäre. Hinzu kommt, dass die Musterklägerin nicht darlegt, dass dieser Prospektmangel in unverjährter Zeit (§ 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB) in das von der Musterklägerin geführte Verfahren und eine Vielzahl weiterer gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten eingeführt worden wäre, so dass auch nicht ersichtlich ist, dass die Entscheidung dieser Verfahren von der Entscheidung über dieses Feststellungsziel abhängen kann.

c) Schließlich kann eine Änderung/Erweiterung der Feststellungziele zu I. a) bis n) im vorliegenden Verfahrensstadium nicht mit dem Gebot der Verfahrensförderung in Einklang gebracht werden. Sie führte vielmehr zu einer Verfahrensverzögerung, die den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht zuzumuten ist (vgl. Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 15 Rn. 19; Kruis a.a.O. § 3 Rn. 85).

aa) Die Musterklägerin hat den mit Schriftsatz vom 22. August 2019 formulierten Antrag auf Erweiterung/Korrektur der. Feststellungsziele so kurzfristig gestellt, dass die neu gefassten Feststellungsziele nicht mehr zum Gegenstand der für den 17. September 2019 angesetzten mündlichen Verhandlung gemacht werden konnten.

Neue (erweiterte) Feststellungsziele werden erst dann zum Gegenstand des Musterverfahrens, wenn. sie vom Oberlandesgericht zugelassen und im Klageregister öffentlich bekannt gemacht worden sind, § 15 Abs. 2 KapMuG (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 15 Rn. 26). Vor Entscheidung über einen Erweiterungsantrag ist dieser den Musterbeklagten und den übrigen Beteiligten (über eine Veröffentlichung im elektronischen Register) bekannt zu machen und ist ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. § 15 Rn. 23).

Vorliegend ist der Antrag der Musterklägerin auf Erweiterung/Korrektur der Feststellungsziele erst im Laufe des 22. August 2019 und damit so kurzfristig vor dem bereits mit Schreiben vom 7. Februar 2019 angekündigten und mit Verfügung vom 29. Mai 2019 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. September 2019 bei Gericht eingegangen, dass eine Entscheidung über den Antrag auf Erweiterung/Korrektur der Feststellungsziele und eine Veröffentlichung der entsprechenden Zwischenentscheidung auch bei beschleunigter Stellungnahme durch die übrigen Verfahrensbeteiligten und zügiger Bearbeitung durch das Gericht vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich gewesen wäre.

Da erst nach Zulassung und Veröffentlichung der beantragten Erweiterung/Korrektur der Feststellungsziele über diese in der Sache verhandelt werden kann, hätte diese Verfahrensweise eine Verlegung des bereits seit langem angesetzten Verhandlungstermins oder (trotz weitgehend gleichbleibenden Streitstoffs) die Anberaumung eines Fortsetzungstermins erforderlich gemacht und damit zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt.

bb) Bei objektiver Betrachtung bestand ferner kein Anlass, den Antrag auf Erweiterung/Korrektur der Feststellungsziele (nebst umfänglichem Sachvortrag zu seiner Begründung) erst zu dem von der Musterklägerin gewählten Zeitpunkt bei Gericht einzureichen.

Soweit die Musterklägerin zur Begründung für die Neufassung der Feststellungsziele auf die Notwendigkeit verweist, den in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2017 - XI ZB 17/15 an die Bestimmtheit des Feststellungsbegehrens gestellten Anforderungen Rechnung zu tragen, musste hiermit nicht bis kurz vor dem für den 17. September 2019 angesetzten Verhandlungstermin zugewartet werden.

Der Senat hat keinen Grund zu der Annahme, dass der auf Kapitalanlagenrecht sowie Bank- und Börsenrecht spezialisierte Musterklägervertreter die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2017 nicht zeitnah nach ihrer Veröffentlichung zur Kenntnis genommen und ausgewertet hat. Zudem hat die Musterbeklagte zu 4) mit Schriftsatz vom 26. Mai 2018 (dort Seite 7f.) die von der Musterklägerin zur Begründung für die Neufassung der Feststellungsziele herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2017 ausdrücklich in Bezug genommen und hat der Senat dies zum Anlass genommen, die Musterklägerin unter dem 29. Mai 2019 darauf hinzuweisen, dass nach seinem Dafürhalten keine Notwendigkeit für eine Antragskorrektur besteht. Bei dieser Sachlage hätte es nahegelegen, sich rechtzeitig mit dieser Frage auseinanderzusetzen und eine Entscheidung darüber zu treffen, ob aus Sicht der Musterklägerin (gleichwohl) eine Antragskorrektur geboten ist. Dies gilt umso mehr, als die Musterklägerin selbst bereits mit Schriftsatz vom 1. November 2017 (dort Seite 4) eine kurzfristige Erweiterung der Feststellungsziele ins Auge gefasst und angekündigt hat.

Soweit sich die Musterklägerin durch die Erwiderungen der Musterbeklagten zur Änderung und Erweiterung der Feststellungsziele veranlasst gesehen haben mag, datieren diese sämtlich vom 28. Mai 2018, so dass auch in Ansehung des Umfangs des vorliegenden Verfahrens ein auskömmlicher Zeitraum zur sachgerechten Durchsicht und Bearbeitung derselben zur Verfügung stand.

Dass sich die Musterklägerin gleichwohl erst am 22. August 2019 zu einer Replik auf die Stellungnahmen der Musterbeklagten verbunden mit einer Neufassung der Feststellungsziele veranlasst gesehen hat, ist daher mit dem Gebot der Verfahrensförderung (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in Verbindung mit § 282 ZPO) nicht in Einklang zu bringen, so dass eine Erweiterung des Verfahrens um die geänderten/korrigierten Anträge auch aus diesem Grund nicht sachdienlich ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. § 282 Rn. 2a)

• Antrag zu I. o)

Eine Erweiterung des Musterverfahrens auf das mit dem im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. September 2019 überreichten Schriftsatz vom 15. September 2019 formulierte Feststellungsziel zu I. o) ist schon deshalb nicht sachdienlich, weil dies zu einer Verfahrensverzögerung führte; die aus den o.g. Gründen nicht hinzunehmen ist. Es ist ferner nicht ansatzweise ersichtlich, aus welchen Gründen die informierte Anlageentscheidung des mit dem Verkaufsprospekt angesprochenen Anlegers von der Offenlegung einer von der Musterklägerin nicht näher skizzierten „mittelbaren“ Beteiligung der Konsortialführerin Bayern LB an der Centurio Lux S.A abhängen soll.

• Hilfsantrag

Der mit Schriftsatz vom 22. August 2019 formulierte Hilfsantrag ist bereits mangels hinreichender Bestimmtheit gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in Verbindung mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig, so dass auch eine Erstreckung des Musterverfahrens auf diesen Antrag nicht sachdienlich ist.

Der von der Musterklägerin formulierte Hilfsantrag, mit dem sie ein Feststellungsziel zum Gegenstand des Verfahrens machen will, nach dem der von ihr als fehlerhaft angegriffene Verkaufsprospekt losgelöst von konkreten Darstellungsmängeln in Bezug auf bestimmte für die Anlageentscheidung bedeutsame Tatsachen oder Risiken „nicht geeignet sein soll, einem Anleger die erforderlichen Informationen in einer zumutbaren Weise zu präsentieren“, zeichnet sich zum einen durch die Verwendung unbestimmter und daher ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe („erforderlich“, „unzumutbar“) und zum anderen dadurch aus, dass er dem Gericht aufgibt, den Prospekt in Bezug auf dessen Aufbau, die Darstellung des Fondskonzepts, der Risiken, die Trennung von Aussagen mit werblichem Charakter von solchen, die der Vermittlung von Informationen über das Anlageobjekt dienen, und die Komplexität der Darstellung einer eigenständigen und vollständigen Prüfung zu unterziehen, ohne dass ein Bezug zu bestimmten (von der Musterklägerin zu benennenden) Gestaltungsmerkmalen des Prospekts oder bestimmten Aussagen oder Auslassungen hergestellt wäre. Ein so formulierter Antrag genügt den vom Bundesgerichtshof an die hinreichende Bestimmtheit eines Musterverfahrensantrags (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in Verbindung mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) gestellten Anforderungen erkennbar nicht, zumal er es nicht anders als bei Verwendung eines „insbesondere“-Zusatzes dem Gericht überlässt, unabhängig von konkreten Beanstandungen herauszuarbeiten, aus welchen Gründen der Verkaufsprospekt (gegebenenfalls) fehlerhaft ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - XI ZB 17/15, BGHZ 216,37 Rn. 63 ff. nach juris).

Im Übrigen wäre auch die Erweiterung des Musterverfahrens um diesen Hilfsantrag schon deshalb nicht sachdienlich, weil dies - wie bereits ausgeführt - zu einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung führte.

Dr. Sprockhoff Rosseck Jorcke-Kaßner