Aus dem BundesAnzeiger geplaudert
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Diese Entscheidung

11.09.2020

ARFB ./. Porsche/VW: Ablehnungsgesuche zurückgewiesen

Oberlandesgericht Celle Beschluss

13 Kap 1/16 18 OH 2/16 Landgericht Hannover

In dem Musterverfahren

ARFB Anlegerschutz UG (haftungsbeschränkt), vertreten durch den Geschäftsführer persönliche Daten entfernt,

Musterklägerin,

Prozessbevollmächtigte: TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Einhornstraße 21, 72138 Kirchentellinsfurt, Geschäftszeichen: 900001/14 TI/ZwU

gegen

1. Porsche Automobil Holding SE, vertreten durch den Vorstand Prof. Dr. Winterkorn, P.A.E. von Hagen u. a., Porscheplatz 1, 70435 Stuttgart,

2. Volkswagen AG vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,

Musterbeklagte,

Prozessbevollmächtigte zu 1: Rechtsanwälte Hengeler Müller, Bockenheimer Landstraße 24, 60323 Frankfurt, Geschäftszeichen: 66825785v2; 68238117 vl; 628110206 vl

Prozessbevollmächtigte zu 2: Anwaltsbüro Göhmann, Ottmerstraße 1 - 2, 38102 Braunschweig, Geschäftszeichen: 01907-11 BE/SW

hat der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Gerresheim, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Derks und den Richter am Oberlandesgericht Krackhardt am 07. September 2020 beschlossen:

Die Ablehnungsgesuche der Musterklägerin vom 17. Juni 2020, ergänzt und hilfsweise neu gestellt am 22. Juni 2020, sowie der Musterklägerin und der sog. Elliot-Beigeladenen vom 14. Juli 2020 gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese, den Richter am Oberlandesgericht Keppler, den Richter am Oberlandesgericht Spamer sowie die Richterin am Oberlandesgericht Dencks werden als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Mit Schriftsatz vom 17.06.2020 (Bl. 10399 ff. d.A.) hat die Musterklägerin den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese, den Richter am Oberlandesgericht Keppler, den Richter am Oberlandesgericht Spamer sowie die Richterin am Oberlandesgericht Dencks wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Diese Ablehnung ergänzte und wiederholte sie mit Schriftsätzen vom 22.06.2020 (Bl. 10487 ff. und 10498 f. d.A.). Sodann lehnten die Musterklägerin und die sog. Elliot-Beigeladene mit Schriftsatz vom 14. Juli 2020 den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese, den Richter am Oberlandesgericht Keppler, den Richter am Oberlandesgericht Spamer sowie die Richterin am Oberlandesgericht Dencks erneut ab.

Zur Begründung führt die Musterklägerin aus, dass die abgelehnten Richter Keppler, Spamer und Dencks die Gehörsrüge der Musterklägerin mit Beschluss vom 15.06.2020 zurückgewiesen haben, obwohl sie davor nicht sämtlichen Beteiligten des Musterverfahrens rechtliches Gehör gewährt hätten, was vorsätzlich geschehen sei. Insbesondere sei dagegen verstoßen worden, dass das Gehörsrügeverfahren als Fortsetzung des Ablehnungsverfahrens gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese ein eigenständiges Verfahren sei, welches nicht Bestandteil der mündlichen Verhandlung sei. Die Zustellung bzw. Bekanntgabe derselben hätte daher außerhalb der mündlichen Verhandlung eigenständig und ohne Beteiligung des Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wiese vorgenommen werden müssen. Jedenfalls nach Bekanntgabe der Gehörsrüge hätte der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Wiese die Verfahrensherrschaft aus der Hand geben müssen. Stattdessen habe er die anwesenden Beteiligten zur Stellungnahme aufgefordert und deren Stellungnahmen entgegengenommen. Hierin liege ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs und gegen die Wartepflicht aus § 47 Abs. 1 ZPO. Die von Herrn Name entfernt abgelehnten Richter Wiese, Spamer, Keppler und Dencks hätten entgegen der zwingenden Vorschrift des § 44 Abs. 3 ZPO weder dienstliche Stellungnahmen abgegeben, noch Stellungnahmen, weswegen sie ausnahmsweise eine Abgabe nicht für erforderlich hielten. Sie hätten damit vorsätzlich gegen § 44 Abs. 3 ZPO verstoßen. Die abgelehnten Richter hätten kollusiv mit den Richtern Schaffert, Dr. Gerresheim und Krackhardt am 16. und 17.06.2020 zusammengewirkt. Weiter werden die Ablehnungen damit begründet, dass die Richter Spamer, Keppler und Dencks am 09.06.2020 an einem Beschluss mitgewirkt haben, der Tatsachen unterstellt habe, die sich so nicht aus der Akte ergäben. Das Befangenheitsgesuch des Beigeladenen Name entfernt sei offensichtlich unter Einbindung der abgelehnten Richter Wiese, Keppler und Dencks entschieden worden. Aus der Äußerung des Vorsitzenden, dass „nach unserer Auffassung“ die Unbegründetheit des gegen ihn gerichteten Befangenheitsgesuchs nahelag, ergebe sich, dass es zu einem Austausch gekommen sei und es werde indiziert, dass sie sich mit den Richter Schaffert, Gerresheim und Krackhardt ausgetauscht hatten, wofür auch spreche, dass der Termin vom 17.06.2020 nicht aufgehoben worden sei. Die Benutzung des Wortes „wir“ könne nur dahingehend verstanden werden, dass es zur Einholung der Stellungnahmen eine Abstimmung gegeben habe. Der Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 hätte unter normalen Umständen nicht stattfinden dürfen. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die abgelehnten Richter bewusst auf eine Terminsaufhebung verzichteten, um eine angebliche Eilbedürftigkeit bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zu konstruieren. Verfahrensfehlerhaft sei auch gewesen, die Aufforderung zur Stellungnahme und die Stellungnahme des Vertreters der Musterbeklagten zu 1 in Abwesenheit des Richters Spamer durchzuführen. Die Terminierung von weiteren 57 Verhandlungstagen im Jahr 2021 ohne jeglichen Hinweis dazu, wie die Verhandlung inhaltlich strukturiert sein soll, sei offensichtlich willkürlich und geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Offensichtlich willkürlich sei auch die Aufforderung an Rechtsanwalt Tilp vom 21.04.2020 gewesen, trotz schriftlich erklärter anwaltlicher Versicherung darzulegen, inwieweit er zur Corona-Risikogruppe gehöre. Die Befangenheit ergebe sich zudem auch aus einer Gesamtschau des bisherigen Verfahrens.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingangs genannten Schriftsätze und den Schriftsatz der Musterklägerin und der Elliott-Beigeladenen vom 20.08.2020 Bezug genommen.

II.

Das Ablehnungsgesuch ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Der Senat entscheidet in dieser Sache durch die gemäß Abschnitt II. des Geschäftsverteilungsplanes des Oberlandesgerichts für das Jahr 2020 zur Vertretung des 1. Kartellsenats berufenen Mitglieder des 16. Zivilsenats.

2. Das Ablehnungsersuchen ist nicht begründet. Eine Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist gemäß § 42 Abs. 2 ZPO anzunehmen, wenn aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Richter tatsächlich befangen ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.02.2012, AZ: 1 W 5/11, Rn. 45, zit. nach juris; vgl. BGH, Beschluss vom 21.12.2006, AZ: IX ZB 60/06, Rn.7, zit. nach juris; vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Auflage, § 42 Rn. 9). Derartige Gründe wurden nicht dargelegt.

Eine Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter ergibt sich nicht aus einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Hinblick auf die Gehörsrüge der Musterklägerin. Sämtliche Beteiligte waren zum Termin am 17.06.2020 geladen. Im Rahmen dieses Termins bestand Gelegenheit zur Stellungnahme, so dass rechtliches Gehör gewährt wurde.

Ob die Aufforderung der anwesenden Beteiligten zur Stellungnahme und die Entgegennahme der abgegebenen Stellungnahmen einen Verstoß gegen § 47 ZPO darstellt, kann letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls lässt dies nicht den Schluss zu, dass der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Wiese oder die weiteren abgelehnten Richter der Musterklägerin oder der sog. Elliott-Beigeladenen nicht unvoreingenommen gegenüberstehen. Denn dass der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Wiese gerade nicht davon ausging, selbst entscheiden zu dürfen, ergibt sich (neben seiner Angabe in der dienstlichen Äußerung) bereits daraus, dass der Richter am Oberlandesgericht Spamer zuvor mit in den Sitzungssaal geholt wurde. Dass es auch bei Vorliegen eines Ablehnungsgesuchs nicht ausgeschlossen ist, dass ein Richter zunächst weiterverhandelt, zeigt die Existenz des § 47 ZPO. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass Verfahrensverstöße in der Prozessleitung nicht ohne weiteres zu der Annahme führen, der Richter stünde der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (vgl. z.B. BGH NJW-RR 2012, 61).

Soweit den abgelehnten Richtern ein kollusives Zusammenwirken mit den Richtern des Vertretersenats am 16. und 17.06.2020 vorgeworfen wird, fehlen hierfür angesichts des Inhalts der dienstlichen Äußerungen jegliche Anhaltspunkte, zumal nicht dargelegt ist, in welcher Weise dies konkret erfolgt sein soll.

Eine Besorgnis der Befangenheit ergibt sich auch nicht aus der Äußerung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Wiese, dass „nach unserer Auffassung“ die Unbegründetheit des gegen ihn gerichteten Befangenheitsgesuchs nahe lag. Dass die Verwendung des Wortes „uns“ durch den Vorsitzenden im Rahmen einer Sitzung nicht lediglich die anwesenden Senatsmitglieder, sondern weitere Richter mit einschließen soll, ist bereits nicht ersichtlich. Dass sich ein Senat über die Begründetheit eines gegen ihn (bzw. einzelne Mitglieder) gerichteten Befangenheitsgesuchs Gedanken macht, ist im Hinblick auf die Prozessleitung sachgerecht und kann in dieser Form keine Besorgnis der Befangenheit begründen.

Soweit gerügt wird, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 unter normalen Umständen nicht hätte stattfinden dürfen, vermag auch dies nicht den Eindruck zu vermitteln, dass die abgelehnten Richter der Musterklägerin oder der sog. Elliot-Beigeladenen nicht unvoreingenommen gegenüberständen. Auf die Dauer der Entscheidung des Vertretersenats hatten die abgelehnten Richter keinen Einfluss. Sie sind aber von Gesetzes wegen gehalten, das Verfahren zu fördern.

Dass die abgelehnten Richter im Rahmen des Ablehnungsgesuchs des Beigeladenen Dr. Rall weder dienstliche Stellungnahmen, noch Stellungnahmen, weswegen sie ausnahmsweise eine Abgabe nicht für erforderlich hielten, abgegeben haben, begründet bereits deshalb keine Besorgnis der Befangenheit, weil sie vom Vertretersenat zu einer Abgabe derartiger Stellungnahmen gar nicht aufgefordert worden waren, was ebenfalls bereits Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs gewesen ist. Auch dass sich der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Wiese in seiner dienstlichen Äußerung vom 04.08.2020 zu den Punkten 2. und 3. nur wie dort aufgeführt geäußert hat, begründet entgegen der Annahme der Musterklägerin und der sog. Elliot-Beigeladenen keine Besorgnis der Befangenheit, denn eine dienstliche Äußerung kann unterbleiben, wenn sich die maßgeblichen Tatsachen aus den Akten ergeben (vgl. BGH NJW-RR 2017, 187 m.w.N.), was hier der Fall ist.

Soweit gerügt wird, dass die Aufforderung zur Stellungnahme und die Stellungnahme des Vertreters der Musterbeklagten zu 1 in Abwesenheit des Richters Spamer durchgeführt worden seien, ist dies ausweislich der eingeholten dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Wiese, des Richters am Oberlandesgericht Keppler und des Richters am Oberlandesgericht Spamer nicht der Fall gewesen.

Sowohl der Vorwurf, dass eine Terminierung von weiteren 57 Verhandlungstagen im Jahr 2021 ohne jeglichen Hinweis dazu, wie die Verhandlung inhaltlich strukturiert sein soll, erfolgt sei, als auch die Aufforderung an Rechtsanwalt Tilp vom 21.04.2020, trotz schriftlich erklärter anwaltlicher Versicherung darzulegen, inwieweit er zur Corona-Risikogruppe gehöre, waren länger bekannt und dementsprechend nunmehr nicht unverzüglich i.S.d. § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO geltend gemacht.

Soweit die Ablehnung damit begründet wird, dass die Richter Spamer, Keppler und Dencks am 09.06.2020 an einem Beschluss mitgewirkt haben, der Tatsachen unterstellt habe, die sich so nicht aus der Akte ergäben, ist dies nicht zutreffend.

Eine Befangenheit ergibt sich schließlich auch nicht aus einer Gesamtschau des bisherigen Verfahrens. Hierzu kann auf die bisherigen Beschlüsse des Senats zu den Ablehnungsgesuchen und Gehörsrügen Bezug genommen werden. Eine Gesamtschau des Vorgetragenen ergibt ebenfalls nicht, dass die abgelehnten Richter der Musterklägerin oder der Elliott-Beigeladenen nicht unvoreingenommen gegenüberstehen.

3. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO).

Dr. Gerresheim Dr. Derks Krackhardt