Hanseatisches Oberlandesgericht
Az.: 13 Kap 1/21
Beschluss
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In der Sache
persönliche Daten entfernt - Musterkläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte von Ferber, Langer, Neuer Wall 61, 20354 Hamburg
gegen
1) MPC Capital Investments GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, Palmaille 67, 22767 Hamburg - Musterbeklagte -
2) Managementgesellschaft Sachwert Rendite-Fonds Indien mbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, Palmaille 67, 22767 Hamburg - Musterbeklagte -
3) TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co. KG, Palmaille 67, 22767 Hamburg vertreten durch die Komplementärin Verwaltung TVP Treuhand GmbH, diese vertreten durch d. Geschäftsführer - Musterbeklagter -
4) TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH, Palmaille 67, 22767 Hamburg vertreten durch d. Geschäftsführer - Musterbeklagter -
5) Verwaltung Sachwert Rendite-Fonds Indien 2 GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, Palmaille 67, 22767 Hamburg - Musterbeklagte -
6) Telis Finanz AG, vertreten durch d. Vorstand, Ziegetsdorfer Straße 116, 93051 Regensburg - Musterbeklagte -
Prozessbevollmächtigte zu 1 - 5: Rechtsanwälte Lindenpartners, Friedrichstraße 95, 10117 Berlin
Prozessbevollmächtigte zu 6: Rechtsanwälte Heberlein, Mack-Pfeiffer & Kollegen, Elisabethstraße 11, 80796 München, Gz.: 10 959/17
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beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht - 13. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Panten, die Richterin am Oberlandesgericht zur Verth und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Tonner am 17.02.2021:
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I.) Gem. §
15 KapMuG werden auf Antrag der von den Rechtsanwälten activeLaw vertretetenen Beigeladenen vom 03.03.2020 sowie des Musterklägers vom 06.05.2020 die folgenden Feststellungsziele zum Verfahren zugelassen:
9.
Der Verkaufsprospekt des „Sachwerte-Rendite Fonds Indien II“ ist unrichtig, irreführend und unvollständig, da in diesem die indische Volkswirtschaft fehlerhaft beschrieben wird, indem
a)
Das hohe Bevölkerungswachstum und das geringe Durchschnittsalter als entscheidender Faktor für eine wachsende Wirtschaft und ein wachsendes Konsumverhalten genannt werden, während das durchschnittliche Pro-Kopfeinkommen und die tatsächliche Kaufkraft fehlerhaft und als demgegenüber wesentlich weniger bedeutsam für den Erfolg der Kapitalanlage dargestellt werden, wodurch dem Anleger ein zu positives Bild der Investition vermittelt wird.
b)
überhöhte Angaben zur Größe der Mittelschicht und zur Zahl der Erwerbstätigen gemacht werden und dabei die hohe Analphabetenquote und der große unregulierte Niedriglohnsektor verschwiegen werden, wodurch eine unrealistisch hohe Kaufkraft und damit ein ebenso deutlich überhöhtes Konsumverhalten suggeriert werde.
10.
Der Prospekt und seine Nachträge verschweigen, dass spätestens ab dem 01.12.2008 drei führende Prognoseinstitute den indischen Immobilienmarkt infolge der Finanzkrise äußerst kritisch sahen und sogar der Geschäftsführer der MPC Synergy Real Estate AG, die als Beraterin des Fonds fungierte und Überwachungs-, Koordinierungs- und Berichtsfunktionen bei den indischen Projektentwicklungen wahrnehmen sollte, davon ausging, dass sich Bauzeiten verlängern würden und die Aufnahme lokaler Baufinanzierungen (noch) schwieriger werden würde.
II. Den Musterbeklagten wird aufgegeben, binnen eines Monats auf die bereits erfolgten Begründungen zu den neu zugelassenen Feststellungszielen zu erwidern. Die weiteren Beteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen gleicher Frist.
III. Im Übrigen wird der Antrag der von den Rechtsanwälten activeLAW vertretenen Beigeladenen gem. §
15 KapMuG vom 03.03.2020 zurückgewiesen.
IV. Der Musterkläger wird darauf hingewiesen, dass sein ursprünglicher Antrag insoweit nicht hinreichend bestimmt sein dürfte, als er sich nicht nur auf den Verkaufsprospekt sondern auch auf „diverse Nachträge“ bezieht. Der Kläger erhält Gelegenheit, binnen eines Monats im Sinne dieses Hinweises ergänzend vorzutragen.
- Gründe:
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1.) Die Voraussetzungen des §
15 KapMuG liegen hinsichtlich der zugelassenen Erweiterungen vor.
a) Die neu formulierten Feststellungsziele sind entscheidungserheblich, wofür es genügt, dass es als plausibel erscheint, dass die Entscheidung über die beantragte Erweiterung sich im Ausgangsverfahren auswirken kann (Kölner Kommentar-Vollkommer, KapMuG, 2. Aufl. 2014, § 15, Rn. 14).
Der Senat folgt nicht der Auffassung von Vorwerk/Wolf-Kotschy, KapMuG, 2. Aufl. 2020, § 15, Rn. 6), wonach eine Erweiterung nur vorzunehmen wäre, wenn die fragliche Erweiterung tatsächlich im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich wäre, was voraussetze, dass die fragliche Rüge zum Prospektinhalt dort erhoben und auch zu ihrer Relevanz für die Anlageentscheidung vorgetragen worden wäre.
Ein Bestreiten des entsprechenden Vortrages eines die Erweiterung begehrenden Beteiligten des KapMuG-Verfahrens durch andere Beteiligte würde den Senat in eine ihm nicht obliegende Prüfung des (jeweiligen) Ausgangsverfahrens im Einzelnen hineinzwingen, eine Prüfung, die ihm - anders als etwa bei der Beschwerde gegen die Aussetzung oder Nichtaussetzung eines Verfahrens nach §
8 KapMuG - nicht obliegt (Kölner Kommentar-Vollkommer, aaO., § 15, Rn. 14). So würden in das KapMuG-Verfahren Fragen hineingetragen, die nach seiner Struktur dort nicht zu klären sind: Je nach Vorbringen der Parteien wäre ggf. der Frage nachzugehen, ob der Vortrag zu einem bestimmten, vom Erweiterungsantrag betroffenen Sachverhalt hinreichend substantiiert ist, ob er rechtzeitig vorgebracht wurde, ob er zu Recht präkludiert wurde oder aber zu präkludieren wäre, u.U. auch, ob er ohne Verstoß gegen Verspätungsregeln - ggf. nach Beendigung der Aussetzung - noch angebracht werden könnte. Hierbei wäre auch nicht etwa nur auf das Ausgangsverfahren des Musterklägers abzustellen: Da auch Beigeladene Erweiterungsanträge anbringen können, würde es konsequenter Weise auf das Vorbingen in deren jeweiligen Verfahren ankommen; ganz unklar wäre schließlich, wie insoweit mit erweiternden Feststellungsanträgen der Beklagtenseite umzugehen wäre - offenkundig kann es insoweit nicht nur auf das Verfahren des Musterklägers ankommen, vielmehr wäre wohl darauf abzustellen, ob die Beklagtenseite den entsprechenden Einwand bislang in irgendeinem Ausgangsverfahren vorgebracht hat. Damit aber würde das KapMuG-Verfahren mit der Klärung von Fragen belastet, die - besonders augenfällig bei Fragen der Präklusion - in die alleinige Entscheidungskompetenz des Ausgangsgerichts gestellt sind.
Insoweit kann auch der Hinweis der Beklagten auf
BGH XI ZB 13/18, Beschluss vom 30.04.2019, nicht durchdringen: Dass eine Aussetzung nach §
8 KapMuG nur erfolgen kann, wenn „es nach der Überzeugung des Prozessgerichts auf ... geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird“ (Leitsatz 2), ist für die Frage der Anforderungen im Rahmen des §
15 KapMuG ohne Belang. Denn - wie oben ausgeführt - ist die Prüfung dieser Frage dem Prozessgericht ohne Weiteres, insbesondere ohne Beiziehung bislang nicht verfahrensgegenständlicher Akten, möglich und auch zugewiesen.
Soweit das Kriterium der konkreten Entscheidungserheblichkeit offenbar herangezogen werden soll, um ein Ausufern des KapMuG-Verfahrens durch Anträge nach §
15 KapMuG zu verhindern, erscheint es hierfür nicht geeignet. Vielmehr ist die Abhandlung weiterer Feststellungsziele, die plausibler Weise in Ausgangsverfahren eine Rolle spielen können, nach dem Telos des KapMuG sachgerecht, um in einem Verfahren eine möglichst umfassende Klärung der behaupteten Fehlerhaftigkeit einer Kapitalmarktinformation herbeizuführen. Einer mit dem Anspruch der Parteien - auch der Parteien der ausgesetzten Verfahren - auf hinreichend raschen Rechtsschutz nicht vereinbare Überfrachtung und insbesondere Verzögerung des KapMuG-Verfahrens kann dadurch gesteuert werden, dass im Einzelfall die Sachdienlichkeit von Erweiterungsanträgen verneint wird. So sind nach Auffassung des Senats Erweiterungsanträge insbesondere dann nicht sachdienlich, wenn sie - wie nach der Erfahrung in zahlreichen KapMuG-Verfahren nicht selten - erst Monate nach Anbringung des Begründungsschriftsatzes und Erwiderung der Beklagten insbesondere erst sehr kurz vor oder gar erst nach der mündlichen Verhandlung gestellt werden, wenn ihre Zulassung zu einer deutlichen Verzögerung der Entscheidung und damit auch zu einer unangemessenen Verzögerung der Ausgangsverfahren führen würde.
b) Die zugelassenen Erweiterungen betreffen sämtlich den Inhalt des streitgegenständlichen Fondsprospektes und damit den gleichen Lebensachverhalt wie die schon rechtshängigen Anträge.
c) Schließlich ist ihre Zulassung auch sachdienlich, insbesondere führt sie voraussichtlich nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens, kann aber zu einer umfassenden Klärung der sich bezogen auf den Anlageprospekt stellenden rechtlichen und tatsächlichen Fragen beitragen (vgl. dazu Kölner Kommentar-Vollkommer aaO., § 15, Rnrn. 20, 21).
2.) Hingegen ist der Erweiterungsantrag zu Ziffer 2 des Schriftsatzes der Rechtsanwälte activeLAW vom 03.03.2020 zurückzuweisen, da die hier aufgeworfenen Fragen bereits rechtshängig sind; insoweit wird auf Ziffer 7 des Vorlagebeschlusses des LG Hamburg vom 14.12.2017 verwiesen.
3.) Nach Auffassung des Senats sind die ursprünglichen Feststellungsanträge bislang nicht hinreichend bestimmt, soweit sie sich auf Nachträge zum Prospekt beziehen.
Insoweit dürfte es erforderlich sein, die fraglichen Nachträge exakt zu bezeichnen und jeweils anzugeben, welche Information in welchem Nachtrag fehlerhaft sein soll bzw. vermisst wird.
Hinsichtlich des mit diesem Beschluss zugelassenen Feststellungszieles zu 10 stellt sich diese Problematik nicht, da hier offenbar sämtliche Nachträge (zu deren Veröffentlichungsdaten vorgetragen wurde) erfasst sein sollen und die nach Klägervortrag in allen diesen Nachträgen unterlassene Information konkret bezeichnet wurde.
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Panten
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
zur Verth
Richterin am Oberlandesgericht
Dr. Tonner
Richter am Oberlandesgericht