Landgericht Hamburg
Beschluss
Az.:
311 OH 4/15-
In der Sache
Der vom Hanseatischen Oberlandesgericht nach §
9 Abs. 2 KapMuG zu bestimmende Musterkläger - Antragsteller -
gegen
1) MPC Capital Investments GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer
Namen entfernt, Palmaille 76, 22767 Hamburg - Antragsgegnerin -
2) TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH, vertreten durch d. Geschäftsführer
Namen entfernt, Palmaille 67, 22767 Hamburg - Antragsgegnerin -
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2: Rechtsanwälte Lindenpartners, Friedrichstraße 95, 10117 Berlin
-
beschließt das Landgericht Hamburg - Zivilkammer 11 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Otto, den Richter am Landgericht Dr. Meinken und die Richterin am Landgericht Dr. Willemsen am 03.07.2015:
I.
Dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg werden gemäß §
6 Abs. 1 KapMuG folgende Feststellungsziele zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt:
1. Der vom 23.11.2007 datierende und am 8.12.2007 von der MPC Capital GmbH veröffentlichte Prospekt für die Beteiligung an der Sachwert-Renditefonds Indien GmbH & Co KG ist in erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend.
2. Die Beklagten haften als Gesamtschuldner nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne gem. §
280 Abs. 1, §
311 Abs. 2 BGB bezüglich der in Ziff. 1 genannten Kapitalanlage.
II.
Dieser Vorlagebeschlusses und das Datum seiner Veröffentlichung sind gemäß §
6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich bekannt zu machen.
Gründe:
I.
Die Antragsteller der zugrunde liegenden Musterverfahrensanträge begehren von den Beklagten die Zahlung von Schadensersatz wegen des aus ihrer Sicht fehlerhaften Beitritts zu einem geschlossenen Immobilienfonds.
Die Antragsteller haben sich über die als Treuhänderin fungierende Beklagte zu 2) an der Sachwert Rendite-Fonds Indien GmbH & Co KG beteiligt, deren Gründungsgesellschafterinnen die Beklagten zu 1) und 2) sind.
Gegenstand der Kapitalanlage ist die Investition in die Projektentwicklung von drei Apartmentanlagen an den Standorten Mohali, Ludhiana und Bangalore in Indien. Die Kapitalrückflüsse und die Rendite sollen über den Verkauf der Apartments an private Endnutzer realisiert werden. Das Kapital solle dabei in der Weise eingesetzt werden, dass die Fondsgesellschaft über eine 100%ige Tochtergesellschaft mit Sitz in der Republik Mauritius (MPC Rhine River Ltd.) in eine indische Projektentwicklungsgesellschaft (AKME Rhine River Projects Private Ltd.) investiert, an deren Kapital sie bei einem Stimmrecht von 50% mit 77,6% beteiligt ist; der übrige Kapitalanteil von 22,4% wird von einer indischen Projektpartnergesellschaft (AKME Project Ltd.) gehalten, die ebenfalls über ein Stimmrecht von 50% verfügt.
Grundlage des Beteiligungsangebots ist der von der Beklagten zu 1) (damals noch unter „MPC Münchmeyer Petersen Capital Vermittlung GmbH“ firmierenden) herausgegebene Emissionsprospekt „MPC Sachwert Rendite-Fonds Indien“ vom 23.11.2007. Die Antragsteller halten diesen Prospekt aus einer Vielzahl vom Gründen für fehlerhaft; wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der Musterverfahrensanträge Bezug genommen. Nach Auffassung der Antragsteller haften die Beklagten zu 1) und 2) für diese Fehler u.a. in ihrer Eigenschaft als Gründungsgesellschafterinnen der Fondsgesellschaft.
II.
1.
Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss zuständig, weil die Zuständigkeit eines anderen Gerichts nach §
6 Abs. 2 KapMuG nicht gegeben ist. Ausweislich des Klageregisters zum KapMuG sind bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung keine gleichgerichteten Anträge bekannt gemacht worden.
2.
Der Musterverfahrensantrag ist statthaft, denn die geltend gemachten Ansprüche fallen in den Anwendungsbereich des §
1 KapMuG. Nach §
1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG sind insbesondere Ansprüche falscher oder irreführender Kapitalmarktinformationen musterverfahrensfähig. Um solche Ansprüche handelt es sich vorliegend; die Antragsteller begründen ihre Klagen u.a. mit den Rechtsprechungsgrundsätzen zur Prospekthaftung im weiteren Sinne (§
311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, §
280 Abs. 1 S. 1 BGB) bzw. mit der Verletzung vorvertraglicher Nebenpflichten der Beitrittsverträge, wobei diese Pflichtverletzungen gerade damit begründet werden, dass der Emissionsprospekt falsch, unvollständig und irreführend sei.
3.
Die Kammer hat von der gem. §
3 Abs. 2 KapMuG grundsätzlich vorgesehenen Veröffentlichung der Musterverfahrensanträge nach §
3 Abs. 4 KapMuG abgesehen, weil die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Hanseatische Oberlandesgericht nach §
6 Abs. 1 S. 1 KapMuG bereits vorliegen. Im April 2015 sind in mindestens 11 beim Landgericht Hamburg anhängigen Verfahren gleichgerichtete Musterverfahrensanträge eingegangen, und zwar in den folgenden Verfahren: 311 O 9/15, 311 O 3/15, 311 O 6/15, 323 O 49/14, 323 O 72/14, 323 O 74/14, 323 O 96/14, 311 O 15/15, 311 O 4/15, 311 O 7/15, 323 O 52/14.
4.
Soweit die Antragsgegnerinnen die Zulässigkeit der Musterverfahrensanträge in Abrede stellen, folgt die Kammer dem nicht:
a) Soweit die Antragsgegnerinnen rügen, dass die Anträge rechtsmissbräuchlich seien, weil sie lediglich der Verfahrensverschleppung dienen, geht dies fehl. Es ist für die Kammer schon nicht erkennbar, aus welchem Grunde die Kläger der Ausgangsverfahren, die die Zahlung von Schadensersatz begehren, ein Interesse daran haben sollten, das Verfahren und damit die begehrte Schadensersatzzahlung über Gebühr zu verzögern. Im Übrigen führt allein die Tatsache, dass das Hanseatische Oberlandesgericht in einem vorangegangenen Rechtsstreit die Klage eines Anlegers rechtskräftig abgewiesen hat, keineswegs dazu, dass die Musterverfahrensanträge rechtsmissbräuchlich sind, denn diese Entscheidung – die im Übrigen von einem Senat erlassen wurde, der für die Durchführung des hiesigen Musterverfahrens nicht zuständig sein wird – entfaltet keine irgendwie geartete Bindungswirkung für andere Verfahren.
b) Ohne Erfolg rügen die Antragsgegner zudem, dass das Feststellungsziel Nr. 1 unzulässig sei, weil es auf die Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Prospekts insgesamt gerichtet ist und nicht auf die Feststellung einzelner konkretisierter Prospektfehler.
Dass es sich hierbei um ein taugliches Feststellungsziel i. S. d. §
2 Abs. 1 KapMuG handelt, folgt zwingend aus der Gesetzgebungsgeschichte, zumal exakt diese Frage im Gesetzgebungsverfahren zum KapMuG eingehend thematisiert und ausdrücklich im vorgenannten Sinne entschieden wurde. Der Bundesrat hatte gegen die Fassung des Regierungsentwurfs nämlich seinerzeit eingewandt, dass der – im Gesetzentwurf noch nicht definierte – Gesetzesbegriff des „Feststellungsziels“ unklar bleibe; insbesondere sei es unklar, ob der Begriff so weit zu verstehen sei, dass die Fehlerhaftigkeit des Prospekts als solche ein Feststellungsziel darstellen könne, oder dahingehend, dass als Feststellungsziel nur einzelne konkrete Prospektfehler in Betracht kommen (vgl.
BR-Drs. 2/05 vom 18.2.2005, Anmerkung Nr. 3). Diese Anregung aufgreifend hat der Rechtsausschuss des Bundestages eine Legaldefinition des Begriffs „Feststellungsziel“ in §
2 Abs. 1 KapMuG ergänzt und in seiner Begründung ausdrücklich klargestellt, dass das zuerst genannte, weite Verständnis des Begriffs maßgeblich sei; der Begriff werde „bewusst weit gewählt, damit im Musterverfahren der Sachverhalt möglichst umfassend geklärt wird“ (
BT-Drs. 15/5695, S. 22/23). Dementsprechend geht auch die Kommentarliteratur zutreffend davon aus, dass die Fehlerhaftigkeit des Prospekts insgesamt, d.h. ohne nähere Beschränkung auf konkretisierte Prospektfehler Gegenstand eines Feststellungsziels sein kann, und dass es lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit ist, ob in das Feststellungsziel Einschränkungen bzw. Konkretisierungen auf bestimmte Prospektfehler aufgenommen werden (vgl. Kölner Kommentar/Kruis, a.a.O., Rn. 27 und 47 ff zu §
2 KapMuG). Dies steht im Übrigen auch im Einklang mit dem Zweck des KapMuG, im Wege des Musterverfahrens eine möglichst umfassende Beantwortung der entscheidenden Fragen für alle betroffenen Verfahren herbeizuführen: Wären die Antragsteller darauf beschränkt, einzelne konkret zu benennende Prospektfehler einer Feststellung zuzuführen, so wären sie im Fall einer insgesamt ablehnenden Entscheidung des OLG nämlich nicht gehindert, weitere Prospektfehler geltend zu machen und darüber ggf. sogar ein erneutes Musterverfahren anzustrengen. Dies wird ausgeschlossen, wenn die Fehlerhaftigkeit des Prospekts in seiner Gesamtheit zum Feststellungsziel gemacht wird. In diesem Falle stünde bei einer ablehnenden Entscheidung des OLG nämlich umgekehrt die Fehlerfreiheit des Prospekts fest. Das Ausgangsgericht wäre hieran gebunden, und zwar auch dann, wenn nachträglich weitere Prospektfehler geltend gemacht werden (so zutreffend Kölner Kommentar/Kruis, Rn. 49 zu §
2 KapMuG). Hieran hat sich auch durch das KapMuG-Reformgesetz vom 25.10.2012 nichts geändert. Insbesondere ist die Definition des Begriffs des „Feststellungsziels“ unverändert geblieben. Änderungen haben sich im Begriffswerk des Gesetzes nur insoweit ergeben, als der Gesetzesbegriff des „Streitpunkts“ (§
1 Abs. 2 S. 2 KapMuG a.F.) aufgegeben wurde, zumal er nach Auffassung des Regierungsentwurfs „keine ordnende Kraft“ habe entfalten können (
BT-Drs. 17/8799, S. 14, 17). Auswirkungen auf den Begriff des Feststellungsziels ergeben sich daraus in der hier relevanten Hinsicht nicht.
Vor diesem Hintergrund folgt die Kammer nicht der – im Übrigen vereinzelt gebliebenen – Auffassung des Landgerichts Frankfurt/Main, der zufolge die Frage der Fehlerhaftigkeit des Prospekts als solche mangels hinreichender Bestimmtheit nicht Gegenstand eines Feststellungsziels sein könne (vgl. LG Frankfurt/M., Beschl. v. 28.4.2014 zum Az. 2-
21 OH 2/14 - Morgan Stanley, unter Ziff. 6 der Gründe).
c) Das Feststellungsziel Ziff. 1 ist auch nicht etwa deswegen zu unbestimmt, weil der Antrag keinen Zeitpunkt benennt, zu dem der Prospekt fehlerhaft gewesen sein soll. Der Antrag ist insoweit der Auslegung zugänglich. Für die Kammer liegt dabei auf der Hand, dass der Antrag nur in dem Sinne verstanden werden kann, dass der Zeitpunkt gemeint ist, der im Prospekt als Redaktionsschluss angegeben ist (23.11.2007); alle Prospektaussagen, die von der Warte dieses Datums aus die Zukunft betreffen, können daher nur daraufhin überprüft werden, ob sie den Anforderungen der Rechtsprechung genügen, denen zufolge die in einem Prospekt angestellten Prognosen zumindest „vertretbar“ sein müssen.
d) Der Musterverfahrensantrag ist auch nicht deswegen unzulässig, weil die Feststellungsziele nicht entscheidungserheblich sind. Ihre Entscheidungserheblichkeit folgt daraus, dass die Antragsteller ihre Ansprüche auf die Grundsätze der Rechtsprechung zur Prospekthaftung im weiteren Sinne stützen; diese setzen nach st. Rspr. u.a. voraus, dass der Prospekt „in erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig oder irreführend“ ist (Feststellungsziel Nr. 1) und dass die in Anspruch Genommenen hierfür verantwortlich und damit passivlegitimiert sind (Feststellungsziel Nr. 2).
An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es auch nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Verfahren aus anderen Gründen abweisungs- und deswegen entscheidungsreif sind. Soweit die Antragsgegnerinnen meinen, die Ansprüche der Anleger seien verjährt, weil die Antragsteller aus verschiedenen Gründen frühzeitig Kenntnis von ihren Ansprüchen gehabt hätten bzw. insoweit grob fahrlässig in Unkenntnis geblieben seien, mag dieser Aspekt bei der Frage eine Rolle spielen, ob die einzelnen Ausgangsverfahren nach §
8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen sind (vgl. §
8 Abs. 1 S. 1 a.E. KapMuG). Der Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags kann dieser Aspekt nicht entgegenstehen, weil die Frage der Kenntnis nur für jeden Anleger individuell aufgeklärt werden kann.
e) Auch das Feststellungsziel Nr. 2 ist zulässig. Soweit die Antragsgegnerinnen meinen, die Antragsteller wollten hiermit unzulässigerweise das Bestehen des Anspruchs insgesamt festgestellt wissen, folgt die Kammer dem nicht. Ausweislich der Antragsbegründung ist mit der Formulierung der genannten Feststellungsziele offensichtlich lediglich die Prospektverantwortlichkeit der Antragsgegnerinnen bzw. die sog. Passivlegitimation gemeint, also die Frage, ob sie für etwaige Prospektfehler haften, weil ihnen den Anlegern gegenüber eine entsprechende Aufklärungspflicht obliegt, die durch den Prospekt erfüllt werden sollte. Damit wird folglich (nur) das „Vorliegen einer anspruchsbegründenden Voraussetzung“ i.S.d. §
2 Abs. 1 KapMuG, und damit eine im Musterverfahren zulässige Feststellung begehrt. Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass die gewählte Antragsfassung über dieses Ziel hinausgeht, ist es nicht gehindert, diese Fassung im Musterentscheid durch eine aus seiner Sicht treffendere zu ersetzen.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, §
6 Abs. 1 S. 2 KapMuG.
Otto Dr. Meinken Dr. Willemsen
Vorsitzender Richter am Landgericht Richter am Landgericht Richterin am Landgericht